Die konservativ-militärischen Eliten in Preußen hatten nach der Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne die Oberhand behalten. Freilich erstarkte mit dem Beginn der "Neuen Ära" 1858 die im Jahrzehnt zuvor mit Waffengewalt niedergedrückte Nationalbewegung. Die in Vereinen organisierten Sänger, Turner und Schützen mobilisierten ihre Kräfte, trafen sich auf nationaler Ebene, organisierten Bundesfeste und erhöhten den Druck auf die Regierungen der deutschen Staaten zur Lösung der ,nationalen' Fragen.

Ein geschichtlicher Höhepunkt des Schützenwesens in Deutschland war das Bundesschießen 1862 in Frankfurt. In Reden und Inszenierungen, durch Symbole und Festveranstaltungen wurde von den Schützen der erhoffte Nationalstaat unter Bekenntnis zu den Traditionen von 1848/49 zelebriert. In diesem Zusammenhang knüpfte man mit der symbolischen Bildung einer "Volksarmee" an ältere Konzepte der "Volksbewaffnung" an. Süddeutsche bzw. großdeutsch orientierte Schützen dominierten das Ereignis. Die preußischen Schützen mit dem Votum für die kleindeutsche Lösung blieben isoliert.

Ölgemälde "Kaiser Wilhelm I., Kronprinz Friedrich III., Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke und Otto von Bismarck", Darstellung der vier Persönlichkeiten, die mit der Reichseinigung von 1870/71 und dem politischen Geschick Deutschlands in den zwei nachfolgenden Jahrzehnten in Verbindung gebracht wurden, von Theodor Rocholl um 1900; Museen Burg Altena
Nach der Reichseinigung 1871 entwickelten sich die Schützenvereine zu einem bestimmenden Faktor der "sozialen Militarisierung der Gesellschaft". Insbesondere in Preußen wurden sie neben Kriegervereinen und Reservistenverbänden zu den Trägerschichten der breitflächigen Übernahme militärischer Mentalitäten und Verhaltensmuster. In der Zeit zwischen 1815 und 1848/49 gehörten Uniformen bei den Schützenvereinen noch zu den gesellschaftlichen Unterscheidungsmerkmalen. Manchmal bildeten sich innerhalb der zuvor zivil gekleideten Schützengesellschaften eigene Abteilungen bzw. Kompanien, deren Mitglieder sich durch die Anschaffung kostspieliger Uniformen und hochwertiger Säbel von den weniger vermögenden Schützen abheben wollten.

In der Kaiserzeit erlebten die Krieger-, Veteranen- und Landwehrvereine und die stets bedeutsamen Schützengesellschaften eine ungeahnte Blüte. Überall dort, wo diese Vereine in der Öffentlichkeit in Erscheinung traten, bemühten sie sich, entweder ein kleines Abbild von symbolischen Herrschaftsinszenierungen der königlichen bzw. kaiserlichen Familie zu bieten oder den Geist der Armee in der Zivilgesellschaft zu verbreiten.

Die Kriegervereine mussten sowohl den Ablauf von Begräbnissen ehemaliger Kameraden als auch die heraldischen Motive auf den Vereinsfahnen mit den Behörden abstimmen. Vor diesem Hintergrund wurden in der preußisch-deutschen Militärmonarchie bei Anlässen wie einem Königs- oder Kaiserbesuch oder einer Denkmalsenthüllung die Militärvereine stets bevorzugt. Die Schützenvereine sahen sich in der öffentlichen Anerkennung durch die Staatsorgane nunmehr zurückgesetzt.

Fotographie "Antreten der Lüdenscheider Schützen", 1898; Archiv der Lüdenscheider Schützengesellschaft 1506 e.V.